THEMEN-SPECIAL DIGITALISIERUNG

2.000 Gespräche am Tag

Customer-Care-Prozesse mit KI





Das Arzneimittelunternehmen Teva arbeitet tagtäglich daran, den Patienten ein besseres, gesünderes Leben zu ermöglichen. In Deutschland kennt man das Unternehmen insbesondere über die bekannte Arzneimittelmarke ratiopharm. Der Mensch stand auch im Mittelpunkt, als es in einem ambitionierten Projekt gemeinsam mit targens an die Implementierung einer Lösung mit künstlicher Intelligenz (KI) ging.

Etwa 20.000 Apotheken, rund 800 Kliniken, zirka 120 Großhändler und ein paar Hundert Außendienstler – das tägliche Aufkommen in der Customer-Care-Abteilung bei Teva kann selbst dem eifrigsten Call-Center-Mitarbeiter Kopfschmerzen bereiten. „Unsere neun Hotlines führen am Tag rund 2.000 Gespräche mit bis zu 18 verschiedenen Kundengruppen“, weiß Daniel Müller, Leiter Customer Care bei Teva. Ein Pensum, das verbunden mit der Abdeckung aller Arzneimittelmarken der Teva und der entsprechenden Produktvielfalt über die Jahre zu einer Herausforderung angewachsen ist. „Im Jahr 2017 war ein externer Hotline-Dienstleister ausgeschieden und wir hatten versucht, die Lücke intern mit eigenen Customer-Care-Mitarbeitern zu schließen. Das hat nicht geklappt und wir sind schnell an die Grenzen unserer Ressourcen gestoßen“, erinnert sich der Verantwortliche. 

Ein Blick hinter die Kulissen eines typischen Arbeitstages in der momentan 40-köpfigen Teva-Hotline: Neben einer schnellen Reaktionszeit erwarten die Kunden in der Regel ganz spezifische Informationen – über die Verfügbarkeit von Arzneimitteln, mögliche Nebenwirkungen, die Zusammensetzung von Präparaten oder zu Lieferkonditionen. Das sind sehr spezielle Themen, die manuell in mehreren Datenbanken recherchiert werden mussten.

„Da kam uns der Gedanke, die Suche nach Antworten auf diese Fragen von einer vollautomatischen Wissensdatenbank 
erledigen zu lassen, um unsere Kollegen aus dem Customer Care damit unterstützen zu können“

Kein Produkt von der Stange

„Da kam uns der Gedanke, die Suche nach Antworten auf diese Fragen von einer vollautomatischen Wissensdatenbank erledigen zu lassen, um unsere Kollegen aus dem Customer Care damit unterstützen zu können“, so Müller. Doch die Angebote hierzu waren nicht überzeugend, handelte es sich dabei doch ausnahmslos um Lösungen von der Stange, die für den Einsatz im pharmazeutischen Umfeld nicht geeignet waren. Fündig wurde der Arzneimittelhersteller aus Ulm kurze Zeit später dann aber doch noch: „targens hatte beim ersten Vorstellungstermin eine überzeugende Performance und eine kleine Demonstration über die Machbarkeit mithilfe von KI-Technologien abgeliefert. Das hat uns überzeugt.“

Schon im Januar 2020 folgte der Startschuss für das Projekt „Digital Call Assistant“: Auf Basis der eigenen KI-Erfahrung entwickelten die KI-Profis der targens aus Stuttgart eine Software, die den ganz individuellen Anforderungen und Wünschen in enger Absprache mit den Call-Center-Mitarbeitern gerecht werden sollte. Der Digital Call Assistant stützt sich auf eine von targens entwickelte Spracherkennungstechnologie. Sie ist in der Lage, Telefongespräche in Echtzeit zu erarbeiten, Kundenanliegen zu erkennen und alle relevanten Informationen übersichtlich auf dem Bildschirm des jeweiligen Hotline-Mitarbeiters zu präsentieren.

In der Teva-Praxis bedeutet das: Der Digital Call Assistant hört das Gespräch mit, übersetzt den Text und sucht in der Verschriftlichung nach den Schlagwörtern. So findet der virtuelle Hotline-Mitarbeiter beispielsweise Informationen darüber, ob Paracetamol 500 mg als Packungsgröße mit 20 Tabletten lieferbar ist, ob Artikel gesperrt sind oder eine Freigabe erfolgt ist. Diese Ergebnisse werden anschließend an das User Interface des menschlichen Kollegen ausgegeben – und das alles nahezu in Echtzeit, also in Bruchteilen von Sekunden. Müller´s vorläufiges Fazit: „In der Vergangenheit hätte ein Mitarbeiter dafür bis zu vier Datenbanken durchforsten müssen.“

Pharmazie-Jargon: Prüfstein für die KI

Mit dem Digital Call Assistant ist Teva heute allerdings nicht nur in der Lage, die Kollegen aus der Hotline zu entlasten – auch die Kundenzufriedenheit stieg nach der Einführung des KI-gestützten Werkzeugs wegen der deutlich kürzeren Wartezeiten am Telefon. Überzeugt sind Müller und sein Team auch von der Möglichkeit, die KI-Lösung von targens sowohl als On-Premises-Variante als auch in der Cloud nutzen zu können. Hier entschied sich das Arzneimittelunternehmen für die klassische Variante: „Wir bevorzugen die Möglichkeit, den Digital Call Assistant aus Gründen der Sicherheit und des Datenschutzes auf unserem eigenen Server laufen zu lassen. Die Hardware-Anforderungen des Digital Call Assistants sind minimal.“

Eine ungleich schwierigere Herausforderung lag indes bei targens und den KI-Experten, als es während der Entwicklung darum ging, dem System pharmazeutische Intelligenz einzuimpfen. Maximilian Baritz, Managing Director – Digital Intelligence bei targens, lässt diese Herausforderung Revue passieren: „In der Branche von Teva gibt es unzählige schwierige Begriffe und medizinische Fachausdrücke.“ So müsse das System nicht nur mit lateinischen Namen und medizinischen Zungenbrechern, sondern zuweilen auch mit dem typischen Pharmazie-Jargon der Anrufer klarkommen: Cefalexin oder Cefuroxime, Piracetam oder Piroxicam, Nitrendipine oder Nifedipine, „wir handeln ja nicht mit Bonbons, Verwechslungen müssen unter allen Umständen ausgeschlossen werden“.

Knifflig könne es für die KI-Lösung auch beim typischen Pharmazie-Jargon der Anrufer werden: „Ibu für Ibuprofen, ASS, die wie eine Spielkarte ausgesprochen wird, all das muss diese KI richtig interpretieren.“ Eine Leistung, welcher der Customer-Care-Leiter Respekt zollt: „Da steckt sehr viel Hirnschmalz von targens dahinter. Und darüber sind wir sehr froh.“ Nicht weniger beeindruckt ist Müller´s Team: „Die Ergebnisse für die insgesamt rund 3000 Artikel in unseren Datenbanken kommen in Sekundenbruchteilen. Das hat uns allen schon sehr imponiert.“

Dank dieser durchweg positiven Erfahrungen haben die Planer bei Teva nun auch schon das nächste Projekt im Auge – die Kundenerkennung beim Anruf und eine Anbindung an das Customer-Relationship-Management-(CRM)-System. Damit soll in Zukunft auch die manuelle Pflege der Kundendatenbank der Vergangenheit angehören.



Titelbild: Photo by Fausto Sandoval on Unsplash