TITEL-THEMA


 Alternative zum "No-Touch-Transfer" 

Dekontamination von RTU-Vials mit Wasserstoffperoxid

Ready-to-use (RTU) Behältnisse sind in der Pharmaindustrie weiterhin auf dem Vormarsch, wodurch viele Unternehmen auf der Suche nach dem optimalen Prozess sind, um vorsterilisierte Vials in den Füllbereich ihrer Linie zu transportieren. In einer gemeinsamen Versuchsreihe untersuchten der Maschinen- und Technologielieferant Syntegon und der Containment-Lösungsanbieter Stevanato Group einen vielsprechenden Lösungsansatz: Gemeinsam testeten sie das Potenzial von verdampftem Wasserstoffperoxid (H2O2) zur Dekontamination der äußeren Verpackung von RTU-Vials in Trays oder Tub/Nestern. Ihre Ergebnisse zeigen: Die Methode erhöht sowohl die Flexibilität als auch die Effizienz bei der Herstellung kleiner Chargen.

Der Markt für gebrauchsfertige, sogenannte ready-to-use Behältnisse (RTU) wächst seit Jahren rasant. Überraschend ist dies nicht: Pharmazeuten profitieren von kürzeren Markteinführungszeiten, geringeren Gesamtbetriebskosten sowie einer höheren Flexibilität und einer größeren Integrität des Arzneimittels. Mit der Umstellung vieler Pharmaunternehmen auf kleine Chargen wächst die Zahl an RTU-Behältnissen stetig – von Vials über Spritzen bis hin zu Karpulen. Einer aktuellen Marktstudie1 zufolge erzielten Hersteller:innen mit RTU-Vials allein im Jahr 2020 einen Umsatz von 306,5 Millionen US-Dollar, Tendenz steigend. Bei einer geschätzten Wachstumsrate von 14,5 Prozent prognostiziert P&S Intelligence dem Markt für RTU-Vials in den kommenden zehn Jahren einen Umsatz weltweit von 1.183,4 Millionen US-Dollar. 

Steigender Bedarf nach neuen Transfermethoden 

Während immer mehr Pharmaunternehmen auf RTU-Vials umsteigen, bleiben einige Fragen weiterhin offen – insbesondere die nach geeigneten Transfermethoden. Bei einem herkömmlichen Bulk-Prozess werden die Vials in einer Wasch-/Tunnelkonfiguration gereinigt, sterilisiert und entpyrogenisiert, bevor die Behältnisse in den Füllbereich gelangen. Dieser Prozess eignet sich optimal für die Herstellung von Arzneimitteln in großen Mengen. Bei der Produktion kleiner Chargen jedoch stößt dieser an seine Grenzen – und das in mehrfacher Hinsicht. Zum einen nimmt das Umrüsten der Maschinen viel Zeit in Anspruch. Zum anderen ist der Energieverbrauch im Vergleich zu der geringeren Produktionszeit hoch – ein großes Problem bei häufigen Chargenwechseln. Aus diesem Grund suchen Pharmaunternehmen nach einer sterilen Transfer-Methode, die sich besser für kleinere Chargen eignet. Das Ziel: ein Chargenwechsel mit möglichst geringen Stillstandzeiten, sowie mehr Flexibilität, Effizienz und Rentabilität in der Produktion – und das, ohne die sterile Sicherheit zu beeinträchtigen. Genau diese Vorteile bieten RTU-Vials.

Immer mehr Pharmazeuten entscheiden sich für RTU-Behälter, da sie von einer kürzeren Markteinführungszeit, geringeren Gesamtbetriebskosten, einer höheren Flexibilität während des Abfüllprozesses und einer größeren Integrität des Arzneimittels profitieren.

Alternative zum No-Touch-Transfers für RTU-Vials  

Heutzutage ist es gängige Methode, RTU-Vials in Trays oder Nestern über den so genannten "No-Touch-Transfer" in den Isolator zu transportieren. Bevor die Vials die Produktionshalle des Glaslieferanten verlassen, werden sie in das Tray oder in das Nest platziert, versiegelt und in Beutel verpackt. Geschützt ist das Tray durch eine, zwei oder sogar mehrere Lagen aus (meist) Tyvek-Material, das für den abschließenden Sterilisationsprozess mit trockener Hitze, Strahlung oder Gas benötigt wird.  

All diese Verpackungsschichten müssen in der Abfüllanlage des Pharmaunternehmens Schritt für Schritt unter sterilen Bedingungen wieder entfernt werden. Dies geschieht entweder halbautomatisch durch das Bedienpersonal im Reinraum oder vollautomatisch durch Maschinen. Jeder Auspackschritt birgt dabei ein Risiko einer Kontamination. Obwohl der No-Touch-Transfer weltweit an mehreren hundert Maschinenanwendungen Standard ist, sind Expertinnen und Experten stetig auf der Suche nach neuen Lösungen zur Reduzierung dieser Risiken. Das Zuführen von Werkzeugen und Materialien zur Umgebungsüberwachung über eine angebundene Transferschleuse mit vorgeschaltetem Bio-Dekontaminationszyklus zur äußeren Dekontamination der Materialien vor dem Eintritt in den sterilen Abfüllbereich ist bewährte industrielle Praxis. Das gleiche Prinzip wird jedoch nicht für den Transfer von RTU-Vials in den Isolator verwendet – zumindest nicht bis heute.

Ergebnisse einer branchenweit ersten Versuchsreihe von Syntegon und der Stevanato Group zeigen, dass verdampftes Wasserstoffperoxid (H2O2) eine sichere Methode zur Dekontamination der äußeren Verpackung von RTU-Vials darstellt. 

Verdampftes H2O2 – ein bewährter Standard zur Dekontamination 

Verdampftes Wasserstoffperoxid (auch bekannt als verdampftes H2O2) birgt großes Potential. Bei der klassischen Bulk-Produktion von Vials auf konventionellen Linien kommt H2O2 bereits zur Dekontamination des Isolatorinnenraums in großem Umfang zum Einsatz. Nach dem Dekontaminationszyklus werden die Isolatoren in der Regel mit Frischluft oder mit Hilfe von Katalysatoren belüftet, bis die Restkonzentration an H2Oweniger als 1 oder 0,5 ppm (parts per million) beträgt. Dieser Wert zeichnet den Isolator typischerweise als „produktionsbereit“  aus. Die Vials gelangen durch den Tunnel in den Abfüllbereich und sind dieser geringen, aber immer noch vorhandenen, Restkonzentration in der Luft ausgesetzt. Infolgedessen dringen Gasmoleküle in die Behältnisse ein und reichern sich während des Abfüllvorgangs an der inneren Glasoberfläche des Vials an. Ausführliche Untersuchungen zeigen, dass diese geringen Mengen die Produktqualität nicht beeinträchtigen. 

RTU-Vials stehen in versiegelten Trays, die von einer oder mehreren schützenden Lagen aus Tyvek-Material umschlossen sind. Pharmaunternehmen suchen stetig nach dem optimalen Prozess, um diese Verpackungsschichten zu entfernen und die vorsterilisierte Vials in den Füllbereich ihrer Linie zu transportieren, ohne das Kontaminationsrisiko zu erhöhen.

Gemeinsame branchenweite Versuche 

Lässt sich diese Methode nun auch auf die äußere Dekontamination von vorsterilisierten Vials übertragen? Bevor sich Pharmaunternehmen für diese entscheiden können, benötigt es umfangreiche Daten, die die drängendsten Fragen der Hersteller beantworten: Dringen während der Dekontamination Spuren von verdampftem H2O2 in die Verpackung ein? Könnten H2O2-Rückstände in den Vials die Qualität des Endprodukts beeinträchtigen? Bis vor kurzem lagen keine ausreichenden Daten vor, um die Sicherheit der H2O2-Methode beim Transfer von RTU-Vials in die Abfüllanlage mit H2O2-Kammer zu belegen.  

Im Jahr 2021 schlossen sich Syntegon und die Stevanato Group in einer branchenweit ersten Versuchsreihe zusammen und verbanden die langjährige Isolatorkompetenz des Maschinenherstellers mit der umfangreichen Expertise des Lösungsanbieters für pharmazeutisches Containment und RTU-Behältnisse. Gemeinsam untersuchten sie die Wirkung der H2O2-Methode auf RTU-Behältnisse und ihr Einsatzpotential bei der Herstellung kleiner Chargen. Die Annahme der Expert:innen: sowohl die Außenverpackung als auch die vorsterilisierten Behältnisse absorbieren die Spuren von H2O2. Damit diese Methode sich in Kombination mit RTU-Vials sicher durchführen lässt, müssen die Mengen so gering ausfallen, dass sich keine negativen Oxidationseffekte auf die Medikamente im Inneren ergeben.

In den Experimenten wurden Vials einem typischen Dekontaminationszyklus in einem Isolator ausgesetzt, um anschließend die H2O2-Restkonzentration in den Behältnissen zu ermitteln. Die Ergebnisse zeigten, dass gleich mehrere Parameter wie Verpackung, Vialgröße und -material, Expositionsdauer sowie die Belüftungszeit die H2O2-Konzentration im Behältnis beeinflussen.

Neue Erkenntnisse für RTU-Vials 

Die Experimente fanden in den Pharmalab-Testlaboren bei Syntegon in Crailsheim statt. Dabei wurden sowohl Kunststoff- als auch Glas-Vials einem typischen H2O2-Dekontaminationszyklus in einem Isolator ausgesetzt, um die Methode zu testen und dabei zuverlässige sowie vergleichbare Daten für die gängigsten Vials-Materialien zu sammeln. Für jede Variante kamen drei Arten von Proben zum Einsatz: ein vorsterilisiertes, verpacktes Proben-Vial, ein Kontroll-Vial ohne Außenverpackung sowie ein ebenfalls unverpacktes und verschlossenes Kontroll-Vial.   

Im Anschluss an die Belüftung und nach einer kurzen Wartezeit wurde die innere Oberfläche des Vials zu verschiedenen Zeitpunkten mit einem Kontrollmedium gewaschen, um die Menge an H2O2 in den jeweiligen Testlösungen zu ermitteln. Die Ergebnisse zeigten, dass gleich mehrere Parameter wie Verpackung, Vialgröße und -material, Expositionsdauer sowie die Belüftungszeit die H2O2-Konzentration im Behältnis beeinflussen. Die Vials aus Glas absorbierten dabei weniger Dampf als jene aus Kunststoff. Darüber hinaus ergaben die Tests, dass nach einer Belüftungsphase und bei einer typischen Restkonzentration von 0,5 ppm an H2O2 im Isolatorinneren nur marginale Spuren nach außen in das Probengefäß dringen, nämlich weniger als 2 Nanomol (nmol). Der Nachweis ist somit erbracht: Verdampftes H2Ostellt eine sichere Methode dar, um die äußere Verpackung von vorsterilisierten Vials zu dekontaminieren. Dieses Ergebnis könnte einen Wandel in der Branche einläuten.

Das Entfernen der Verpackungsschichten von RTU-Vials erfolgt entweder halbautomatisch durch Bedienpersonal im Reinraum oder vollautomatisch mit Maschinen. Jeder Entpackungsschritt erhöht das Risiko einer Kontamination. Ein schneller Transfer mit einem Bio-Dekontaminationszyklus für die äußere Dekontamination von RTU-Vials vor der Abfüllung ist daher eine sichere Alternative.

Von der Theorie zur Praxis 

Letztendlich gibt es keine Einheitslösung, denn jedes Medikament reagiert anders auf die Restkonzentration an H2O2 im Isolator. Deren Einflusswirkung hängt von mehreren Faktoren ab, wie z.B. von den Eigenschaften des Wirkstoffs oder seiner Formulierung. Aus diesem Grund sollten Pharmaunternehmen zunächst alle relevanten Daten sammeln, um diese Wechselwirkungen vollständig zu verstehen, bevor sie entscheiden, ob sich die Dekontamination mit verdampftem H2O2 für ihre Produktion eignet. Die Experimente von Syntegon und der Stevanato Group bieten eine solide Grundlage zur Akkumulierung dieser Daten. Sie unterstützen Arzneimittelhersteller dabei, ihre eigenen Produkte mit dieser Methode zu testen, um schließlich eine datengestützte Entscheidung über den passenden RTU-Transferprozess zu treffen. Mit diesen neuen Erkenntnissen haben beide Unternehmen den Grundstein gelegt für neue, spannende Möglichkeiten bei der Herstellung kleiner Chargen und beim Fill-Finish von RTU-Behältnissen.